Amerika wählt

Am 5. November 2024 finden die US-Präsidentschaftswahlen statt. Die sogenannten Swing States werden die Wahl entscheiden. Wir raten davon ab, mit Investitionen auf einen Wahlausgang zu spekulieren.

Die US-Präsidentschaftswahlen vom 5. November 2024 rücken immer näher und damit auch in den Fokus der Marktteilnehmer. Die TV-Debatte vom 10. September, in welcher die Kandidatin der Demokraten, Kamala Harris, überzeugen konnte, gab einen ersten Einblick, mit wie viel Emotionen der Wahlkampf geführt wird.

Das US-Wahlsystem in Kürze

Die US-Präsidentschaftswahlen finden alle vier Jahre statt, jeweils am ersten Dienstag nach dem 1. November. Dabei werden der Präsident und der Vize-Präsident gewählt. Gleichzeitig stehen ein Drittel des US-Senats und das gesamte Repräsentantenhaus neu zur Wahl. Die US-Präsidentschaftswahl ist eine indirekte Wahl, bei der ein Wahlkollegium («Electoral College») bestimmt wird, welches später Präsident und Vize-Präsident wählt. 

Dieses Electoral College besteht aus 538 Wahlleuten, welche im Rahmen der Präsidentschaftswahlen von den 50 Bundesstaaten sowie dem Bundesdistrikt (Washington, D.C.) entsandt werden. Wer immer über 270 Stimmen oder mehr im Electoral College verfügt, hat die Präsidentschaftswahl damit gewonnen. Jeder Bundesstaat hat dabei so viele Wahlleute, wie er Vertreter in beiden Häusern des Kongresses zusammen hat (Senat und Repräsentantenhaus). So hat beispielsweise Kalifornien, der bevölkerungsreichste Bundesstaat, mit 54 die höchste Anzahl an Stimmen im Electoral College.

Marc Häfliger, Anlagestratege
«Die Swing States werden die Wahl entscheiden.»
Marc Häfliger, Anlagestratege

Swing States im Fokus

Von den 538 Stimmen im Electoral College sind je nach Zählung schon etwas mehr als 200 Stimmen je Partei aufgrund von deren Dominanz in gewissen Bundesstaaten quasi gesetzt. Dadurch werden die sogenannten Swing States entscheidend sein. Das sind jene Bundesstaaten, in denen weder Demokraten noch Republikaner eine dominierende Mehrheit haben. Diese Staaten wechseln im Laufe der Zeit immer wieder von einem ins andere Parteienlager (daher die Bezeichnung Swing States). Zu ihnen zählen die folgenden Staaten (Electoral-College-Stimmen in Klammern): Arizona (11), Georgia (16), Michigan (15), Nevada (6), North Carolina (16), Pennsylvania (19) und Wisconsin (10).

Eine Handvoll Swing States entscheidet

Es zeichnet sich bereits ab, dass der Wahlausgang gerade in den Swing States nur durch wenige Stimmen entschieden wird. Es ist somit keine Überraschung, dass sich der Wahlkampf der beiden Kandidaten auf diese Bundesstaaten fokussieren wird. Zudem dürfte das oftmals enge Rennen wie bereits bei der Wahl 2020 zu langwierigen und wiederholten Auszählungen führen. Auch Proteste der jeweils unterlegenen Partei können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden, wie der 6. Januar 2021 in unangenehmer Weise zeigte.

Demokraten mit Fokus auf Sozialpolitik

Um die Gunst der Wählenden zu gewinnen, setzen die beiden Kandidaten verschiedene Schwerpunkte. Die Demokratin Kamala Harris plant, die Steuern für Unternehmen und Private mit hohen Einkommen zu erhöhen. Zudem möchte sie die Steuersenkungen aus Donald Trumps erster Amtszeit rückgängig machen. In der Handelspolitik setzt sie auf eine Kontinuität der Politik von Joe Biden, das heisst vor allem in der (harten) Haltung gegenüber China. Harris plant Massnahmen im Bereich Regulierung und Subventionierung mit einem Fokus auf Umweltschutz, Arbeitsstandards, Wohnungsmarkt und Verbraucherschutz. So fordert sie etwa eine Erhöhung des Mindestlohns, die Kopplung des Mindestlohns an die Inflation, dass mehr (preiswerter) Wohnraum zur Verfügung gestellt wird, Preiskontrollen für Lebensmittelpreise oder einen Deckel für Medikamentenpreise. Weitere Elemente von Harris’ Wahlprogramm sind das Recht auf Abtreibung, strengere Waffengesetze (Verbot von Kampfwaffen in Privatbesitz) und eine Reform des obersten Gerichts.

Trump will tiefere Steuern und höhere Zölle

Das Wahlprogramm von Donald Trump ist vergleichbar mit demjenigen seiner letzten Kandidatur. Er möchte die von ihm initiierten Steuersenkungen von 2017 verlängern und zieht weitere in Betracht (z.B. für Unternehmen von 21% auf 15%). In der Handelspolitik droht Trump mit einer Erhöhung der Zölle (pauschaler Zoll von 10%; für Waren aus China sogar 60%). Er möchte die Bürokratie abbauen, plant eine Deregulierung der Energiewirtschaft, eine Reduktion von Subventionen bei erneuerbaren Energien und Elektrofahrzeugen sowie eine Lockerung von Umweltschutzstandards. Ein weiterer Fokus gilt der Migration, bei welcher Trump für eine restriktive Politik steht, unter anderem mit der Abriegelung der Grenze zu Mexiko und der Abschiebung von illegalen Einwanderern. Er ist gegen eine Erhöhung des Bundesmindestlohns, da dieser von den Bundesstaaten selbst gesetzt werden soll.

Doch die beiden Kandidaten haben auch Gemeinsamkeiten wie etwa Pläne, die Trinkgelder für Beschäftigte im Gastgewerbe von der Einkommenssteuer zu befreien, die harte Linie gegenüber China und ein Haushaltsdefizit, das erhöht bleibt und damit die Staatsverschuldung weiter ansteigen lassen dürfte.

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Finanzmärkte interessieren sich für Steuern und Regulierung

Für die Finanzmärkte relevant sind vor allem Pläne hinsichtlich der Besteuerung, der (De-)Regulierung und der Handelspolitik (Zölle und andere Handelsbeschränkungen) sowie der mittel- bis langfristige Verschuldungsausblick. Die lockere Steuerpolitik von Donald Trump kann sich, zusammen mit den geplanten Deregulierungsmassnahmen, positiv auf die Gewinne der Unternehmungen auswirken (vor allem bei US-zentrierten Unternehmen), was deren Aktienkursen wohl zugutekäme. Auf der anderen Seite führen Steuersenkungen zu noch höheren Haushaltsdefiziten, was mittel- bis langfristig einen negativen Effekt auf US-Obligationen haben kann. Die Steuererhöhungspläne von Kamala Harris wären ein Gegenwind für die Aktienmärkte, doch sie würde damit das Haushaltsdefizit zumindest etwas entlasten. Höhere Zölle, wie sie Donald Trump plant, belasten gewisse US-Unternehmungen und Konsumenten und würden wohl zu einem Anstieg der Inflation führen. Zudem könnten die höheren Zölle zu einem Abwertungsdruck auf Währungen der Exportnationen führen, was den US-Dollar relativ gesehen stützen würde. Die genauen Nettoeffekte sind jedoch kaum quantifizierbar und hängen von vielen weiteren Faktoren ab. Fast genauso wichtig dürfte sein, dass die US-Wahlen geordnet ablaufen und schnell bekannt ist, wie die Machtverhältnisse in den USA in den kommenden zwei Jahren sind. Denn Finanzmärkte mögen Unsicherheit nicht.

Einfluss auf die Gesetzgebung

Ferner gilt zu unterscheiden, was Kandidaten in ihren Wahlprogrammen versprechen und was sie letztendlich umsetzen können. Denn dafür ist neben dem Präsidentenamt auch eine Mehrheit im Kongress (Repräsentantenhaus und Senat) nötig. Bereits wenn nur eine Kammer des Kongresses in der Hand der anderen Partei ist, können Gesetze nicht oder kaum mehr gegen diese verabschiedet werden – Kompromisse werden nötig. Die Zusammensetzung des Kongresses ist somit sehr wichtig, da dieser letztlich entscheidet, ob und wie die politische Agenda umgesetzt werden kann.

Allerdings verfügt auch das Präsidentenamt selbst über eine bedeutende Machtfülle. Mit Exekutivanordnungen kann die Umsetzung von Gesetzen durch die Bundesbehörden beeinflusst werden. Zudem erlaubt es die Ernennung hoher Beamter (zum Beispiel Fed-Chef) und Richter, zum Teil aber mit Zustimmung des Senats.

Szenarien für die US-Wahlen

Insgesamt gibt es acht mögliche Konstellationen, welche Partei nach den Wahlen worüber die Kontrolle hat (Präsidentschaft, Repräsentantenhaus, Senat). Nicht alle sind aber gleich wahrscheinlich. Historisch gesehen tritt eine geteilte Regierung am häufigsten auf, das heisst mind. eine Kongresskammer und Präsidentenamt sind von unterschiedlichen Parteien besetzt. «Sweeps», bei denen eine Partei alle drei Hebel der Macht erhält, sind seltener und meist kurzlebig. Sie enden in der Regel bereits mit den nächsten Midterm-Wahlen nach zwei Jahren.

Im Jahr 2024 haben die Republikaner nun gute Aussichten, die Kontrolle über den Senat zu erobern. Auch beim Repräsentantenhaus sind sie derzeit favorisiert. Allerdings fällt Letzteres oft an die Partei, die die Präsidentschaftswahl gewinnt. Je nach Ausgang der Präsidentschaftswahl sind damit ein Sweep der Republikaner («Red Sweep») oder eine geteilte Regierung einer Präsidentin Harris mit einem (teil)republikanischen Kongress am wahrscheinlichsten. In letzterem Fall dürften die grossen Reformvorhaben ausbleiben und die bisher gesetzten Weichenstellungen der Politik weiterlaufen. Das muss für die Börsen nicht schlecht sein. Sollte den Republikanern hingegen ein Red Sweep gelingen, könnte die erste Marktreaktion positiver ausfallen.

1-Jahres-Performance ab November (Wahltag)

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt aber, dass das allgemeine wirtschaftliche Umfeld für die Aktienmärkte mittelfristig wichtiger war, als welche Partei letztlich den Präsidenten stellte. So war die Performance von US-Aktien (S&P 500 Index) über das erste Jahr nach dem Wahltag vergleichbar mit der Performance in Nicht-Wahljahren (8.8% vs. 8.3%). Ein Grund ist, dass das Wahlprogramm der Kandidaten oft nicht 1:1 umgesetzt wird, da der Kongress die Vorlagen blockiert oder abschwächt.

Marc Häfliger, Anlagestratege
«Wir empfehlen, den gewählten Anlagestrategien treu zu bleiben und nicht aufgrund von Spekulationen über den Wahlausgang zu investieren»
Marc Häfliger, Anlagestratege

«Investieren statt spekulieren»

Entsprechend trifft das Zitat «Es wird nichts so heiss gegessen, wie es gekocht wird» auch auf die US-Präsidentschaftswahlen zu. Denn zwischen Wahlkampfprogramm und Gesetz ist es meist ein langer Weg. Und wie wir dargelegt haben, ist die Zusammensetzung des Kongresses entscheidend dafür, ob und wie die politische Agenda umgesetzt werden kann. Daher raten wir davon ab, aufgrund der US-Wahlen markante Veränderungen am Portfolio vorzunehmen. Stattdessen empfehlen wir, den gewählten Anlagestrategien treu zu bleiben und sich nicht vom Getöse des Wahlkampfes dazu hinreissen zu lassen, auf einen bestimmten – aus heutiger Sicht kaum vorhersagbaren – Wahlausgang wetten zu wollen. Es gilt auch hier die Grundregel: investieren statt spekulieren.


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